Die Augen öffnen

Predigt über Matthäus 25, 1-13
von Pfarrer i.R. Stephan Hüls am 14. Juli 2024 im Evangelischen Gemeindezentrum Brebach

Heute habe ich mir erlaubt, für den Gottesdienst und die Predigt zehn Jungfrauen mitzubringen. Ja, sie haben richtig gehört. Und wenn sie so mögen, gerne für jeden.

Mit solch einer Andeutung kann man in der Regel Männer hellwach kriegen – und bei Frauen regt sich wahrscheinlich ein innerer Widerstand, weil hier ein Impuls gegeben wird, den man durchaus als sexistisch bezeichnen kann.

Dass man mit dem Versprechen von Jungfrauen manche Männer zu den verrücktesten Taten anlocken kann, lässt sich im islamistischen Milieu erleben. Männer werden zu Selbstmordattentaten verführt. Sie sprengen sich und andere in die Luft. Man muss ihnen nur sagen, dass sie direkt mit dem Sterben ins Paradies befördert werden und in den Armen von 10 Jungfrauen aufwachen. Den Rest malt sich die männliche Phantasie dann von allein aus.

Bevor das jetzt ganz plötzlich ausufert, schalte ich noch mal einen Gang zurück.

Als Predigttext möchte ich mit ihnen zusammen auf das Gleichnis von den 10 Jungfrauen aus Matthäus 25 blicken. Aber wie das so ist bei ehemaligen Lehrern, die schieben schnell noch einen Theorieblock davor.

Stichwort Gleichnis in der Bibel: da gibt es ein Bild aus dem Alltag und damit soll etwas aus dem Glaubensleben beschrieben werden. Dabei ging man bis vor Kurzem davon aus, dass es nur einen einzigen Vergleichspunkt zwischen Bild und Übertragung gibt.

Beispiel aus der Alltagssprache: Peter hat ein Kreuz wie ein Kleiderschrank. Das Kreuz, der Rücken von Peter, soll mit einem bespielhaften Gegenstand beschrieben werden. Ein Kleiderschrank ist groß und breit, ist meist aus Holz, hat mehrere Türen und ist standfest. Als Vergleichspunkt wird meist nur die Breite gewählt. Aussage ist also: Peter hat einen breiten Rücken.

Bei den biblischen Gleichnissen hat man also bei den verwendeten Bildern sehr gründlich geschaut, was aus oder von diesen Bildern z.B. über Gott oder das Himmelreich ausdrücken kann. Dann hat man, wenn man sich einigen konnte, eine Aussage formuliert. Z.B. Gott sucht verlorengegangene Menschen so intensiv, wie der Hirte, dem eins von 100 Schafen verloren gegangen ist.

Heute ist man in der theologischen Forschung zu der Erkenntnis gekommen, dass es doch mehrere Vergleichspunkte geben kann. Da ich dazu eine neue theologische Veröffentlichung gelesen habe, bin ich über das Gleichnis von den 10 Jungfrauen gestolpert.

Der Text aus Matthäus 25, 1-13

1 Dann wird das Königreich der Himmel mit zehn Jungfrauen zu vergleichen sein, die ihre Fackeln nahmen und hinausgingen, dem Bräutigam entgegen. 2 Fünf von ihnen waren dumm und fünf waren klug. 3 Die dummen nahmen ihre Fackeln, aber sie nahmen kein Öl mit. 4 Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Fackeln. 5 Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle müde und schliefen ein. 6 Mitten in der Nacht aber gab es Geschrei: Siehe der Bräutigam! Geht hinaus, ihm entgegen. 7 Da standen alle jene Jungfrauen auf und machten ihre Fackeln zurecht. 8 Die dummen aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Fackeln verlöschen. 9 Da antworteten die klugen und sprachen: Niemals! Nein, sonst würde es nicht reichen für uns und für euch; geht aber zu den Händlern und kauft für euch selbst.
10 Während sie nun hingingen, um zu kaufen, kam der Bräutigam, und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen. 11 Später kamen auch die übrigen Jungfrauen und sagten: Herr, Herr, öffne uns! 12 Er aber antwortete und sagte: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. 13 Wacht also! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.

Beim ersten Hinschauen scheint alles klar zu sein. Es ist schließlich von Anfang an dick aufgetragen. Fünf Kluge und fünf Dumme. Die Klugen werden vom Herrn belohnt und die anderen Fünf bestraft. So kennen wir das aus der eigenen Schulzeit, so ist es immer im Leben. Die, die was im Köpfchen haben, die auch schon immer finanziell gut ausgestattet waren, werden belohnt, kriegen noch dazu und gewinnen. Die anderen sind die ewigen Looser. Und bei Gott ist es eben genauso.

Als ich ein wenig im Internet stöberte, fand ich diese Auslegungen bei den Zeugen Jehovas und auch bei einigen frommen Freikirchlern.

Ich gebe zu, es ist gut, sich zur Klugheit anspornen zu lassen, es ist sinnvoll vorauszudenken. Aber bei dieser Auslegung drängt sich für mein Empfinden eine sehr ausgeprägte Werkgerechtigkeit auf. Nur wer sich richtig verhält, wird bei Gott eingelassen. Die anderen bleiben draußen vor.
Das lese ich an vielen Stellen in der Bibel anders. Das wirft für mich die Frage auf, ob ich das Gleichnis so richtig verstehe. Die Klugen werden belohnt und die Dummen werden bestraft, könnte der falsche Verständnisweg sein.

Also gehen wir noch mal gemeinsam einen Schritt zurück und schauen uns die Beispielgeschichte genauer an. In der Situation der Textentstehung gab es besonders zwei Traditionen bei Hochzeiten. Den jüdischen und den griechischen Ritus. Diese unterscheiden sich u.a. darin, wann der Hochzeitsumzug passiert.
Beim griechischen Ablauf wird die Braut im Elternhaus abgeholt und es gibt einen großen Umzug zum Haus des Bräutigams, wo dann ein mehrtägiges Festmahl beginnt. Da freut man sich, wenn möglichst viele Gäste dabei sind.
Beim jüdischen Ritus geschieht ein Umzug nach dem Festmahl, der für das frisch vermählte Paar zum Brautgemach führt, in dem die beiden die Hochzeitsnacht verbringen. (Intim und ohne jeden Gast)

Das von Jesus erzählte Gleichnis hat Elemente von beiden Zeremonien. Der Umzug scheint aber nach griechischem Vorbild zum Festmahl zu führen, denn die Gäste kommen hinein zum Feiern.
Dass die fünf verspäteten Frauen dann aber nicht hereingelassen werden sperrt sich, da man sich bei orientalischen Hochzeitsfeiern über jeden Gast freute.

Es sperrt sich theologisch auch gegen andere Texte im Neuen Testament. Z.B. das Gleichnis vom verlorenen Sohn, wo selbst das enfant terrible, der Sohn, der eine nicht ganz kluge Entscheidung getroffen hatte, vom Vater mit offenen Armen empfangen wird.  

Das auf den ersten Blick so einfach zu verstehende Gleichnis scheint sich bei näherem Hinsehen sperrig zu verhalten. Das motiviert mich, weiter zu überlegen.
Versuchen wir es vom Ende her. Der Schlusssatz ruft zur Wach­samkeit auf. Vielleicht ist das ja ein Schlüssel zum Verständnis. Seid wachsam und jederzeit bereit, denn ihr wisst nicht, wann der Herr wiederkommt.
Wir Gläubigen erwarten die Wiederkunft des Auferstandenen, wie die Juden den Messias, und rechnen mit dem Gericht bzw. der anbrechenden Herrlichkeit im Reich Gottes.

Ja, das ist richtig an verschiedenen Stellen des NTs werden wir zur Wachsamkeit aufgerufen und ich selbst kenne die Gefahr im Alltagstrott so innerlich wegzusacken und den kraftspendenden Draht zum lebendigen Gott zu verlieren.
Der Aufruf zur Wachsamkeit ist wirklich ein guter Impuls für das Leben im Glauben.

Nur was sich im Gleichnis dabei sperrt ist: alle 10 Jungfrauen schlafen ein, die klugen wie die dummen. Keine ist wirklich vollständig wachsam und bereit. Die Klugen waren zwar pfiffig bei der Vorbereitung, sind aber doch nicht wachsam, sonders schlafen auch ein.

Bei der weiteren Vertiefung in die Literatur über dieses Gleichnis stieß ich auf einen ganz anderen Verständnisansatz, der die zahlreichen Widersprüchlichkeiten aufbricht und mich nachdenklich gemacht hat.

Ich blicke zunächst auf die Spannungen.
Zu Beginn werden plakativ füng kluge und fünf dumme Jungfrauen vorgestellt. Die Pointe wird vorweggenommen, was wie ein Erzählfehler wirkt. Lukas ist aber ein guter Erzähler, so dass es kein Fehler von ihm sein kann, sondern Absicht. Vielleicht ein absichtlicher Hinweis auf etwas anderes.
Eine weitere Spannung ist, dass die klugen keine Solidarität mit den dummen Frauen zeigen, was anderswo im Evangelium gefordert und gefördert wird. Diese Frauen sind klug und eher gerissen, aber nicht weise.
Dass die später eintreffenden Frauen nicht eingelassen werden zur Feier steht im Widerspuch zu anderen lukanischen und neutesta­mentlichen Aussagen.

Alle zehn Frauen werden regelrecht vorgeführt. Und es sind Jungfrauen im heiratsfähigen Alter, die damals und in manchen Kulturen auch heute nach bestimmten z.T. sexistischen Werten, ihren Marktwert zugeschrieben bekommen. Frauen treten gegeneinander an, um einen passablen Mann abzubekommen.  

Baut Jesus durch die Feder von Lukas hier soviel Spannungen auf, um den Widerspruch – besonders bei den weiblichen Zuhörern – regelrecht zu wecken? Will er – geradezu wie in einem Antigleichnis – damit sagen:

Bei Gott ist es gerade nicht so?! Bei Gott wird nicht platt nach klug – dumm, sexy – nichtsexy,  unterschieden. Bei Gott musst du nicht gerissen sein, sondern Teilen und Solidarität sind echte Werte. Bei Gott wird die Tür nicht zugeschlagen, sondern Gott breitet die Arme aus, und jeder ist willkommen.

Damit würde der Schlusssatz des Gleichnisses ein spannender Weckruf sein: Seid wachsam, dass ihr nicht die falschen Schlüsse aus diesem Gleichnis zieht. Seid wachsam, dass ihr die Liebe Gottes in seiner herzlichen Zuwendung zu uns erkennt.

Gleichnisse sind spannend. Sie lassen viel Offenheit zum Nachdenken. Sie haben etwas Zeitloses, so dass sie auch heute noch in unsere Situation sprechen können. Und sie laden uns ein, darüber in den Austausch zu kommen. Amen.